Re: Re: Re: Re: Drängt mit 36 wirklich schon die Zeit?

Geschrieben von Katharina am 8. April 2015, 22:10
Als Antwort auf: Re: Re: Re: Drängt mit 36 wirklich schon die Zeit? geschrieben von Claudia

Liebe Tabea, liebe Claudia,

> > Aber noch eine statistische Info aus meinem A-Kurs: Aus Studien weiß
> man,
> > dass das Risiko eines behinderten Kindes bei älteren Erstgebärenden so
> gut
> > wie nicht erhöht ist im Vergleich zu jungen Frauen.
> > Ich frage mich immer woher diese Panikmachen kommen.

Ich hab da noch eine ganz eigene Theorie dazu. Dazu muss ich aber etwas ausholen:

Ihr habt sicherlich schon davon gehört, dass vielerorts Geburten zwangseingeleitet werden, wenn die Frau eine Woche über Termin ist. Das hat folgenden Hintergrund:
Es gibt eine Richtlinie, nach der man bei ET+7 einleiten soll, weil sich ab diesem Termin das Risiko für Totgeburten verdoppelt.
Klingt überzeugend?
Nicht mehr, wenn man weiß, wie diese Richtlinie zustande kam...
Es gibt in der Medizin drei Kategorien von Richtlinien:
Kategorie A - Es werden aufwändige Tests gemacht, um herauszufinden, welches Verhalten/ Medikament/ Maßnahme am wirksamsten ist. Bei diesen Tests wird ein Ergebnis gefunden, das überdeutlich belegt, welche Variante die wirksamste ist. Daraufhin wird es zur Pflicht, diese Variante fortan zu benutzen.
Kategorie B - Es werden alle vorhandenen Studien zu einem Thema gesichtet und daraus eine Meta-Studie angefertigt. Wenn das Ergebnis nicht eindeutig ist, werden spezifizierende Studien veranlasst. Das Ergebnis ist zwar nicht überdeutlich, aber doch deutlich. Daraufhin wird dringend empfohlen, diese Variante künftig zu benutzen.
Kategorie C - Vorhandene Studien werden betrachtet, eine Tendenz ist erkennbar. Daraufhin wird gesagt: Kann man so machen, wenn man will.
Alle diese Richtlinien erscheinen regelmäßig in den medizinischen Fachzeitschriften. Jeweils gekennzeichnet mit A, B oder C.
Die Ärzte lesen diese Richtlinien mehr oder weniger gründlich. Manche Ärzte wissen sogar, was A, B bzw. C bedeutet, wie relevant und wie verpflichtend die jeweilige Richtlinie also ist. Viele Ärzte wissen das nicht.

Die ET+7-Richtlinie ist eine C-Richtlinie. Sie entstand, weil eine Gruppe sehr alter, sehr gelehrter Mediziner zusammen saß und Studien ausgewertet hat. Genau genommen: die eine Studie, die zu diesem Thema weltweit existiert. Diese eine Studie ist auf englisch. Wie gut die Englisch-Kenntnisse der besagten Ärzte sind, ist nicht bekannt. Aufgrund des Alters kann man annehmen, dass ihr Schulenglisch schon ein wenig zurück liegt. Die Studie erschien als Fachaufsatz. Es ist so gut wie sicher, dass die besagten Ärzte diesen Aufsatz kannten, nicht aber die Stammdaten (Basisdaten oder wie auch immer das heißt) dieser Studie. Denn diese Daten waren zu jenem Zeitpunkt nirgendwo veröffentlicht. Mittlerweile sind diese Daten zugänglich. Es stellt sich heraus, dass wesentliche Kriterien für die Datenerhebung gar nicht erfasst wurden. Z.B. Vorschäden der Mutter, Drogenkonsum, Alkohol etc. Es ist also gänzlich unbekannt, ob die Totgeburten jeweils auf eine deutliche medizinische Ursache zurückzuführen sind oder tatsächlich mit der Übertragedauer zusammenhängen könnten.
Besonders markant sind jedoch die Zahlen selbst. Totgeburten VOR ET+7 traten in 0,001% der Fälle auf (oder was Vergleichbares - ich hab die exakte Zahl nicht mehr im Kopf). Totgeburten NACH ET+7 traten in 0,002% der Fälle auf. - Es handelt sich hierbei um eine Zahl, die zwar winzig klein, aber doppelt so groß wie die erste Zahl ist. Folglich lautete die Zusammenfassung der Studienschreiber: Nach ET+7 verdoppelt sich die Zahl der Totgeburten. Das ist zwar nicht falsch, aber in diesen Größenordnungen kann von einer signifikanten Abweichung leider überhaupt nicht mehr die Rede sein. (Die Abweichung beträgt gerade mal 0,001 Prozentpunkt.)
Die Aussage "Totgeburten verdoppeln sich" war aber markant genug, um den kleinen Kreis der alten Herren Ärzte zu überzeugen. Und so wurde eine C-Richtlinie daraus. Also: Kann man machen, muss man aber nicht.
Die Krankenhaus-Ärzte lasen dies nun in ihrer Fachzeitschrift: "Totgeburten verdoppeln sich". Was das C in der Richtlinie bedeutete, war ihnen weitgehend unbekannt, wie so eine Richtlinie entsteht und auf was für Daten sie basiert, erst recht. Der eine Satz aber brannte sich in die Köpfe ein und so setzte sich diese Richtlinie in kürzester Zeit in nahezu allen Krankenhäusern Deutschlands durch und wurde zum Handlungs-Standard. Und die Frauen haben jetzt den Salat.

Sehr langer Vorrede kurzer Sinn: Es würde mich nicht wundern, wenn die Geschichte mit den behinderten Kindern auf einer ähnlichen Datengrundlage entstanden ist...

Liebe Grüße,
Katharina
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